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FrauSuchtZukunft - ein Gespräch

Verein zur Hilfe suchtmittelabhängiger Frauen e.V.

Alkohol, Medikamente und Frauen
Frau vor gelben Wand

 

In meinem Blogartikel zur stillen Sucht der Frauen habe ich versucht die weibliche Sicht der Dinge in Bezug auf eine Abhängigkeitserkrankung und der damit verbundenen Strategien suchtkranker Frauen zu skizzieren. Sucht beziehungsweise Abhängigkeit ist der Oberbegriff und wird als Krankheit angesehen, jedoch gibt es geschlechtsspezifische Thematiken, die nicht übersehen, sondern auf die im besten Falle unbedingt eingegangen werden sollte.

Selbstbewusst sein, stark sein, schön sein, emanzipiert sein, unabhängig und selbständig sein. Wir sollten so vieles sein. Sich um die Kinder kümmern, den Haushalt führen, dem Job nachgehen und alles bestmöglich unter einen Hut bekommen. Das ist der Druck und das sind die Herausforderungen die auf Frauen lasten.

Frauen nutzen Suchtmittel zumeist zur Selbstmedikation, heimlich. Das Bild nach Außen soll weiterhin erhalten bleiben - taff: wir haben alles unter Kontrolle.

Oftmals spielen nicht nur Suchtmittel eine Rolle. Zuvor treten Angststörungen, Essstörungen, Depression oder posttraumatische Belastungsstörungen auf, häufig verbunden mit sexualisierter Gewalterfahrung als Kind und manchmal bis ins Erwachsenenalter.

 

FrauSuchtZukunft – Verein zur Hilfe suchtmittelabhängiger Frauen e.V., ist der größte Frauensuchthilfeträger bundesweit und wurde 1982 im Land Berlin gegründet. Der Verein bietet eine Bandbreite an Angeboten zur Beratung und ambulanter Suchttherapie, Betreuung und Wohnen, und zur beruflichen Teilhabe von süchtigen und suchtgefährdeten Mädchen* und Frauen*, substituierten Frauen* und LBTQI*.

FrauSuchtZukunft ist mit neun Einrichtungen und über 70 Mitarbeiter*innen in ganz Berlin vertreten - dazu gehören drei Beratungsstellen, vier verschiedene Wohnoptionen (betreutes Gruppen- und Einzelwohnen, mit oder ohne Kind(er)*, eine therapeutische Wohngemeinschaft), das Café Seidenfaden und die Kreativwerkstatt / Manufaktur.

 

 

Im Gespräch mit Juliana Börner, Suchtberater*in in der Alkohol- und Medikamentenberatungsstelle FAM von FrauSuchtZukunft:

Wofür steht FrauSuchtZukunft?

FrauSuchtZukunft - Verein zur Hilfe suchtmittelabhängiger Frauen e.V., ist ein Träger, der spezifisch suchtmittelabhängige Frauen* in allen Stadien der Sucht unterstützt. Unser Angebot umfasst die Bereiche Beratung, Wohnen, und berufliche Teilhabe.  

 

In den Einrichtungen des Bereichs Beratung, darunter FAM, Frauenladen und Psychosoziale Betreuung (PsB) und StoffBruch, bieten wir eine große Bandbreite an Beratung und ambulanter Therapie an. 

 

Im Bereich Betreutes Wohnen unterstützen wir Frauen* durch verschiedene Wohnformen (u.a. Einzel- und Zweierwohnungen und einer therapeutische Wohngemeinschaft im Grünen), das Verbundwohnen, das PsB Wohnen, sowie beispielsweise im MutterKindWohnen Mütter und ihre Kinder*.  In den Angeboten können sowohl cleane und trockene, als auch noch konsumierende Frauen* ihren Platz finden. 

 

Im Bereich Arbeit bieten wir zum Beispiel im Café Seidenfaden - ein reines Frauen*Café - am Hackeschen Markt, Umschulungen, Ausbildungen und Arbeitserprobung, das sogenannte Training on the Job, an. Unsere Berufswerkstatt hilft bei der Orientierung und Integration in den Arbeitsmarkt, und die Manufaktur ermöglicht Frauen* eine Beschäftigung in einer Kreativwerkstatt.

 

Unser Verein ist in den 80er Jahren entstanden, um Frauen* einen geschützten Raum zu bieten. Das war am Anfang ein ganz schöner Kampf, da wir uns rechtfertigen mussten, weswegen es zur gemischtgeschlechtlichen Beratung auch eine speziell für Frauen* geben soll. Frauen* haben jedoch ganz andere Themen, was das große Thema 'Sucht' betrifft. 

 

Gerade Frauen* haben häufig Gewalt- und Missbrauchserfahrungen gemacht, die posttraumatische Belastungsstörungen zur Folge haben. Häufig bringen die Frauen* auch Themen mit wie zum Beispiel: Wie ist es denn als Mutter* abhängig zu sein? Wie ist es, selbst eine abhängige Mutter* zu haben? 

Wir nehmen in unseren Gruppen wahr, dass sich Frauen* untereinander besser fühlen und sich dementsprechend auch eher öffnen können.

Die Beratungsstelle der Frauenladen ist auch offen für alle trans* und inter* Personen. Für trans* und inter* Menschen ist es oft besonders schwierig, Räume und Angebote zu finden, in denen sie sich wohl fühlen. 

 

Warum war es deiner Meinung nach so schwer, ein Angebot nur für Frauen zu implementieren?

Es war für viele nicht nachvollziehbar, dass Frauen* anders süchtig sind als Männer und dass Frauen* bestimmte bzw. andere Bedürfnisse haben und es dementsprechend wichtig ist, Frauengruppen zu implementieren, um frauenspezifische Themen besprechen zu können. 

 

Die dahinterliegende Problematik besteht darin, dass das Suchtverhalten von Frauen* ein anderes ist als bei Männern. Frauen* nutzen beispielsweise häufiger Medikamente als illegale Drogen. Es gibt 1,9 Millionen Medikamentenabhängige in Deutschland, davon sind der überwiegende Teil Frauen*. Alkohol ist in der Öffentlichkeit präsent. Medikamente hingegen sind in der öffentlichen Wahrnehmung oft einfach das, was der Arzt oder die Ärztin verschrieben hat und das nimmt man dann eben als Medikament ein. Dass Frauen* in Folge dessen jedoch teilweise 14 Jahre lang Benzodiazepine einnehmen, wird einfach nicht hinterfragt. 

(Benzodiazepine sind eine Gruppe von Arzneimittelwirkstoffen, die als Entspannungs- und Beruhigungsmittel (Tranquilizer) oder als Schlafmittel (Hypnotika) verabreicht werden und zur Abhängigkeit führen können.)

Wie wird euer Angebot von betroffenen Frauen angenommen?

 Das Angebot von FAM wird sehr gut angenommen. Wir haben verschiedene Angebote, wie beispielsweise Einzelberatung, Gruppenangebote und eine Orientierungsgruppe, die die Frauen* wahrnehmen und besuchen können. Wir bieten zudem ein ambulantes Therapieangebot an, in dem wir sie durch Beratung und Antragsstellung in den weitergehenden Therapieprozess begleiten, und einen offenen Frauen*treff. Zu den offenen Gruppen können alle Frauen* zu uns kommen, die Interesse haben.

Wir bearbeiten oft Gesundheits- oder kulturelle Themen. Speziell bieten wir auch die NADA-Akkupunktur an - eine Ohrakkupunktur zur Verringerung von Suchtdruck. Sie wirkt stabilisierend, entzugssyndromlindernd und wirkt sowohl auf vegetativer, als auch auf psychischer Ebene und wir bieten sie jeden Freitag bei uns in der Beratungsstelle FAM an. Dafür können die Frauen* ohne Anmeldung einfach bei uns vorbeikommen.

 

Was ist der Altersdurchschnitt der Frauen, die zu euch kommen?

 Die Bandbreite von Frauen* reicht von 18 bis 75 Jahre, der Altersdurchschnitt der Klient*innen bei uns im Träger liegt derzeit bei 38,5 Jahren. Es ist aber im Allgemeinen sehr gemischt. Wir haben in der Beratungsstelle FAM auch viele junge Klient*innen, die Anfang 20 sind. Die sind dann häufig mit sehr starkem Alkoholkonsum bzw. Mischkonsum bei uns, sprich: Amphetamine, Ketamin, Ecstasy, GBL, T2B, Cannabis.

Wie erfahren die Frauen von euch?

 Das ist unterschiedlich. Meist empfehlen uns Ärzt*innen, Krankenhäuser oder Beratungsstellen weiter beziehungsweise überweisen an uns. Manche Frauen* suchen explizit im Internet nach Angeboten und stoßen dann auf uns. 

Um unsere Arbeit als Beratungsstelle FAM bekannt zu machen, gehen wir unter anderem auch auf die Entzugsstationen der Krankenhäuser, wo wir das umfassende Angebot von FrauSuchtZukunft vorstellen. 

Wir bieten zudem auch offene Sprechstunden an, zu denen die Frauen* ohne Anmeldung bei uns vorbeikommen und sich informieren können.

Was sind die häufigsten Themen, die die Frauen mitbringen?

Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit bei Frauen
Frau und Luftballons

Häufig sind es Gewalterfahrung und die daraus resultierenden Konsummuster als Bewältigungsstrategien. Ungefähr 80% der Frauen*, die zu uns in die Beratungsstelle kommen, leiden unter einer Depression. Viele leiden unter Angst- und Panikstörungen, einige unter der Borderline-Persönlichkeitstörung. Ein sehr großes Thema ist auch die Selbstwertproblematik.

 

Wir haben sehr viele Frauen*, die einen 40-Stunden-Job und Kinder haben und dann abends Alkohol konsumieren, um den ganzen Alltagsstress abzubauen. Daraus entwickelt sich dann sehr schnell ein Muster. Überforderung im Job ist ein immer wiederkehrendes Thema. Aber auch Überforderung mit dem Alltag, vor allem bei alleinerziehenden Müttern*. Nicht zuletzt werden auch häufig Schlafstörungen als Problem genannt.

 

Oft stellen sich für die Frauen* die Fragen: Wie sehe ich denn selbst Menschen, die ein Suchtproblem haben? Was halte ich von diesen Menschen? Manchmal scheint das Bild gewollt wohlwollend, aber oft fällt schnell auf, dass da bei sehr vielen eine richtig negative Sicht vorherrscht, die schlussendlich auch die Gesellschaft hat und die dann natürlich die Frauen* auch auf sich selbst projizieren. Diese Tatsache beeinflusst den Umgang mit ihrer Sucht stark.

Die Frauen* kommen in unseren geschützten Rahmen und merken dann oft schnell, dass hier Frauen* sitzen - wie du und ich. Dass man z.B. den Frauen* hier ihre Sucht gar nicht ansieht. Vielen fällt es auch schwer zu akzeptieren, dass Abhängigkeit eine Erkrankung ist, die einer Behandlung bedarf.

Viele Frauen* denken auch einfach, dass sie zu schwach sind - aber Sucht hat nichts mit Willensschwäche zu tun. Frauen* münzen dann oftmals die komplette Schuld auf sich.

 

Was ist das meist genutzte Suchtmittel unter Frauen?

FAM ist eine Alkohol- und Medikamenten-Beratungsstelle. Von daher steht bei uns Alkoholabhängigkeit an erster Stelle, aber Medikamentenabhängigkeit gibt es eigentlich gleichermaßen. Medikamentenabhängige Personen erreicht man einfach sehr, sehr schwer. Ich würde dementsprechend sagen, dass Alkohol und Medikamente fast gleichzusetzen sind. Zudem tritt vermehrt Mischkonsum auf. Die gleichzeitige Einnahme von Speed und Ecstasy ist beispielsweise sehr verbreitet. In bestimmten Bereichen, wie z.B. bei Frauen*, die der Sexarbeit nachgehen, ist es vor allem Crystal Meth und Heroin. Es gibt eine große Sparte an Frauen*, die von Opiaten abhängig sind, aber auch Cannabis spielt eine Rolle. 

Ist Mischkonsum ein Hauptstadt - Problem?

Ja, ich denke schon. In ländlicheren Regionen oder Grenzgebieten tritt beispielweise Crystal Meth vermehrt auf. Hier in Berlin und der dazugehörigen Szene sind die Drogen nun einmal überall präsent. Ich glaube, dass ein generelles Verbot von Drogen tatsächlich wenig bringen würde. Der Fokus sollte dann eher auf der Prävention liegen.

Gibt es eine Schätzung an Rückfälligen Frauen, nachdem sie euer Beratungsangebot wahrgenommen haben?

Das Team der Beratungsstelle FAM arbeitet zieloffen (d.h. jede Frau* entscheidet für sich, ob sie abstinent leben will, oder ihren Konsum lediglich reduzieren). Aus diesem Grund, spielt ein Rückfall in vielen Fällen nicht immer eine Rolle, da ein Rückfall eine Entscheidung zur Abstinenz voraussetzt. Dieses Ziel haben manche Frauen*, die unsere Beratungsstelle aufsuchen, gar nicht.

 

Viele Frauen* merken einfach, dass ihr Konsum zu hoch ist und wollen diesen lediglich reduzieren, ohne dass sie eine Therapie in Erwägung ziehen. Wir schauen erst einmal, wo es hingehen kann und nicht alle Frauen* werden dann in Therapien vermittelt.

Es ist schwer zu sagen, wie viele Frauen* konkret rückfällig werden, da wir die Frauen* ja im Nachhinein auch nicht mehr begleiten. 

 

Sind mehr Männer abhängig als Frauen?

Es bestehen einfach unterschiedliche Konsummuster von Männern und Frauen*. Männer gehen generell eher nach außen und Frauen* ziehen sich eher zurück. Das exzessive Konsumieren wird eher den Männern zugeschrieben. Bei Männern ist es so, dass sie ihr Problem meist ganz pragmatisch erkennen und daraufhin handeln. 

Frauen* richten ihren Hass und ihre Verzweiflung meist gegen sich selbst. Sie trinken auch viel mehr im Verborgenen, deswegen konsumieren ja viele Frauen* auch Medikamente – die stille Sucht. Bei Frauen* spielt oft ihr Verantwortungsbewusstsein eine wesentliche Rolle, denn Frauen* haben eher die Tendenz, alles aufrecht erhalten zu wollen - wie beispielsweise die Familie. Sie kümmern sich oft zusätzlich noch um ihre Angehörigen und probieren, alles irgendwie unter einen Hut zu bekommen. Sie versuchen ihre Sucht länger für sich zu behalten. Daher ist es schwierig, absolute Zahlen zu nennen.

Spielt Stigma eine Rolle?

Auf jeden Fall. Vor allem bei den Müttern*. Viele der Betroffenen haben beispielsweise Angst davor, dass das Jugendamt herausfindet, dass sie abhängig sind. Sie stellen sich dann die Fragen: „Wie blickt die Gesellschaft auf mich? Wie reagiert mein Arbeitsumfeld auf mich? Kann ich jetzt überhaupt eine Therapie machen?“

Einige Frauen* sind in sozialen Berufen tätig und fragen sich oft, ob sie den Beruf dann weiterhin ausüben können. Dementsprechend ist die Angst vor Stigmatisierung ein sehr großes und immer wiederkehrendes Thema.

 


Falls Du das Gefühl haben solltest, dass dein eigener Konsum aus den Fugen geraten ist, oder Du einfach nähere Informationen zum Thema Sucht, Abstinenz, Beratungsstellen etc. erhalten möchtest, dann findest Du unter dem SOS Link eine Vielzahl an Anlaufstellen.

Natürlich kannst Du Dich auch direkt an FrauSuchtZukunft (www.frausuchtzukunft.de) wenden oder du schaust bei unserer rauschlos.Glücklich! - Community vorbei.

 

Ressourcen: FrauSuchtZukunft e.V.; Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen

Interview: Juliana Börner

photo credits: Marita Kavelashvili; Dev Asangbam // unsplash

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