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Schokolade & Whisky

Rückfall
Emotionen

Manche Tage dürfen auch einfach einmal kacke sein. Einfach so. Ohne Grund. Vielleicht auch mit Grund - aber traurig sein ist doch eigentlich auch in Ordnung, oder?

Ich glaube wir Menschen tendieren dazu,  nur die positiven Gefühle zu wollen. Immer mehr, immer mehr davon. Haben, haben, haben. Und wenn dann mal etwas nicht so läuft und wir Angst haben, oder traurig sind, oder wütend sind - dann wirft uns das aus der Bahn. Dann versuchen wir uns abzulenken, versuchen das ungewollte Gefühl zu beseitigen. Oder versuchen etwas darüber zu legen, oder es zu ertränken.

Aber warum nicht einfach auch einmal traurig sein und diesem Gefühl seinen Raum lassen?

Emotionssalat im Kopf

Meine Gefühle feiern heute eine fette Party, ohne dass sie mich vorher um Erlaubnis gefragt haben. Und irgendwie auch ganz schön gemein von denen - so dachte ich zumindest im ersten Moment. Heute hatte ich doch noch so viel vor! Wollte dieses und jenes erledigen und diesen Text schreiben. Einen ernsthaften Text mit Tiefgang und es sollte um das Thema 'Rückfall 'gehen. 

Jetzt, wo ich ein paar Zeilen zu diesem Thema gelesen habe, sagt mir mein Kopf: "Jetzt musst du aber besonders aufpassen! Du bist heute nicht so gut drauf und da könnte glatt ein Rückfall vor der Tür stehen. Das Männchen im Hirn, welches jegliche Kontrolle an sich reißt und du verständnislos und fremdgesteuert durch die Gegend irren wirst und dir gleich alles durch die Hand gleitet." Ich brauchte eine Weile, um diesen Gedanken wieder gehen lassen zu können. Da ist kein Männchen, sondern nur Gefühl und das darf gerade da sein.

"alles begann mit einem Stück schokolade"

Vor ein paar Tagen bin ich zu meinem Lieblings- Bioladen gegangen - soweit ich weiß, ist das hier auch der einzige. Ist ja auch egal. Auf alle Fälle kaufe ich hier immer vegane Schokolade. Ich betrete frisch und fröhlich die Räumlichkeiten, peile das Schokoladenregal an und laufe an einem kleinen Tischchen vorbei, auf dem Schokolade zum probieren steht. Ich schaue mir ganz kurz die beiden Schalen an und entscheide mich dann für die dunkle Schokolade und zack ist das Stückchen in meinem Mund. 

"Warte Mal! War das jetzt eigentlich vegan?" schießt es mir im ersten Moment durch den Kopf. Die Schokolade zerläuft langsam in meinem Mund und plötzlich macht sich ein ganz anderer Geschmack breit. 

"Ach du Scheiße! Ist das Alk?" - denke ich Bruchteile von Sekunden später und laufe zurück zu dem Tischchen.

Tatsache! Das war Schokolade mit Whisky. Klingt für manch einen bestimmt lächerlich, für mich brach in Bruchteilen von Sekunden meine kleine Welt zusammen. Spucke ich die jetzt aus? Aber wohin? Ich habe kein Taschentuch! Das Stück zerläuft! Ich kann das doch jetzt nicht auf den Boden spucken!? Wo ist eigentlich die Verkäuferin? Wie soll die mir jetzt eigentlich helfen? Was soll die denn machen? Das Stück zerläuft immer mehr. Ich schlucke es herunter. Schöne Scheiße! Zack: Rückfall oder Vorfall - oder vielleicht auch nur Vorfällchen?

Darfst du nie wieder einen Schluck trinken?

Nein! Obwohl dürfen hier nicht von Außen bestimmt wird. Es steht ja keiner jeden Tag 24 Stunden lang neben mir und erinnert mich alle 1-3 Stunden daran, dass ich nicht mehr trinken darf.

Zu Beginn meiner Therapie konnte ich mir nicht trinken nicht vorstellen. Irgendwann werde ich schon einmal wieder ein Gläschen probieren, um zu schauen, ob es kontrolliert geht. Soweit ich verstanden habe bedeutet kontrolliert trinken, dass man trinkt, ohne ein Gefühl hervorheben oder ertränken zu wollen, dass es bei einer kleinen Menge bleibt und auch nicht zu einem besonderen Anlass geschieht. Also völlig neutral, in absoluter Kontrolle in Vorbestimmung von Ort, Zeit und Umständen. Jetzt mal ganz ehrlich, wenn ich das könnte, dann wäre ich sicherlich keine Alkoholikerin!

 

Warum sollte ich nur ein Gläschen trinken, ohne das etwas passiert? Das wäre doch in meiner (abhängigen) Welt total sinnlos?! Bei mir müsste es krachen und zwar gewaltig. Vielleicht nicht beim ersten Mal, aber innerhalb kürzester Zeit und dann wäre ich bei einer Flasche Wodka und 2 Flaschen Wein und zudem im Krankenhaus. So sieht das Ende vom Lied aus. Ich würde die Hölle wählen, wenn ich auf das Männchen im Hirn höre und ich mir kunterbunt ausmalen würde, dass ich irgendwann einmal irgendetwas in Verbindung mit Konsum und Alkohol unter Kontrolle haben könnte.

Vernünftige Junkies?

Drogenkonsum
Junkies

Bei Speed und Co. dachte ich zu Beginn auch, dass die (Drogen) ja nicht mein 'Hauptproblem' seien, also könnte ich die ja eigentlich auch noch ein letztes Mal probieren, um zu sehen, wie das so ist. Jetzt mal ganz ehrlich -  ich runzle schon immer meine Stirn, wenn ich jemanden sagen höre, dass er Drogen nur noch sehr selten und kontrolliert zu sich nimmt. Häh? Cool! Und wie soll das bitteschön gehen? Wie kann man denn wissen, was da drin ist - ohne das man das Zeug selbst gemacht hat? Früher habe ich auch einmal so gedacht. Es ging der Spruch in Berliner Clubs rum, dass Speed ja keine Droge sei und solche lustigen Dinge.

 

Ich glaube das Kartenhaus kann schneller zusammenfallen, als wir das Wort Speed überhaupt aussprechen können. In den Clubs sieht man nichts - aber vielleicht wäre ein Rundgang in einer Suchtklinik einmal ganz interessant. (Ich weiß, das ist sehr makaber, aber das ist Teil der Realität). Mein Kartenhaus ist zusammen gefallen und das am Ende ziemlich schnell. Und die Augen haben mir die Worte einer meiner Therapeuten geöffnet: "Frau Mättig, Freunde rationieren und beschaffen ihren Freunden keine Drogen. Sie sind ein Junkie und wenn sie das nicht begreifen, dann werden sie höchstwahrscheinlich rückfällig werden. "

Nagel auf dem Kopf. Bei dem Wort Junkie ist es wie bei dem Wort Alki - wir haben sofort ein Bild vor Augen. Ich saß nie auf der Straße und habe mir eine Spritze gegeben. Ich war all wöchen(endlich) im Club und dachte, ich habe alles unter Kontrolle, weil das eben viele Andere auch so machen. Das war meine Non - Junkie - Illusion. Da konnte ich früher oder später nur ent-täuscht werden.

Und der Rückfall?

Achtsamkeit ist hier wohl oberstes Gebot. Und die Abstinenzentscheidung. Ich meine, ich weiß natürlich nicht, was mir in den nächsten Tagen, Monaten und Jahren passieren wird. Aber meine Entscheidung steht fest. Da war der Schokoladen Faupax aber ein riesiges Warnzeichen mit Blinklichtern! Augen auf im Abstinenzverkehr! 

Rückfall bedeutet Notfall, denn die Spirale kann sich viel schneller nach unten drehen, als man denken kann. Ja, ein Rückfall kann passieren - der ist mir auch schon passiert -  aber ein Rückfall ist niemals 'halb so wild', sondern sollte meines Erachtens ernst genommen werden.

Laut Statistik liegt das Rückfallrisiko im 1. Jahr wohl bei 90% (wobei die ersten 1-3 Monate am kritischsten sein sollen). Die häufigsten Gründe für einen Rückfall sind: Ärger, Depression, unangenehme Gefühle, Überforderung, Suchtdruck oder aber Konflikte mit anderen Personen. Es haben sich wohl 3 Arten eines Rückfalls heraus kristallisiert:

  1. sofortige Kontrollverlust
  2. schleichende Rückfall
  3. Ausrutscher

Kritisch wird es meiner Meinung nach, wenn Gedanken aufkommen wie beispielweise: "Ich könnte es ja mal probieren!". Oder aber ich bin der Überzeugung, nicht wirklich süchtig zu sein und probiere es mit dem zuvor beschriebenen 'kontrollierten Konsum'. Die Personen aus meinem näheren Umfeld, die es mit kontrolliertem Konsum probiert haben, landeten früher oder später wieder in der Klinik. (wobei ich nicht sagen möchte, dass es absolut nicht funktionieren kann, nur spricht die Statistik für sich und ich persönlich würde kein Risiko eingehen.)

 

Ich denke es ist wichtig, dass eigene Leben gesund und ausgeglichen zu gestalten und auf seine eigenen Bedürfnisse zu achten. In meinem Freundes und Bekanntenkreis wird Alkohol in meinem Beisein beispielsweise auch nur in Absprache mit mir konsumiert, sodass ich mich auf die Situation einstellen kann und wenn es mir zu viel wird, ich immer noch die Entscheidung treffen kann, die Situation zu verlassen. In akuten Situationen (die zum Glück sehr, sehr selten auftreten) helfen mir Sport, Heiß - Kalt - Duschen, Meditation oder aber auch 1 - 2 Liter Zitronenwasser trinken. Das klingt vielleicht simpel, aber Suchtdruck ist ein Arschloch!

"Und die Gefühle?"

Ich habe mir vorgenommen, dass Gefühle sein dürfen. Ich bin so eine Kandidatin, die gerne so tut, als wäre alles in Ordnung und ihre Gefühle dann zur Seite schiebt. So, als wären sie nicht willkommen. Das funktioniert auf längere Sicht aber nicht. Ich achte alles in allem sehr darauf, dass es mir gut geht und an Tagen wie heute, an denen ich mir zu viel vorgenommen habe und ich Lieblingspapis vermisse, weil ich ein schönes Wochenende hatte - im selben Atemzug aber kleine meiner Grenzen nicht einhalten konnte - an solchen Tagen lege ich mich in mein Bett, schließe die Augen, nehme mich in den Arm und darf auch echt einmal weinen. Denn weinen ist auch echt völlig ok! Und dann setzte ich mich hin und schreibe, weil jedes Gefühl nun eben sein darf und wir Freundschaft mit ihnen schließen sollten.

Ressourcen: 

Die Suchtfibel - Ralf Schneider

photo credits: Marquis; Carlos Domingues // unsplash

 

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Kommentare: 1
  • #1

    MP (Donnerstag, 11 April 2019 23:56)

    Danke für diesen Bericht.

    War letztens im Blumenladen. Da gab es verschiedene Sirups im Test und als ich einen gekostet hatte merke ich, dass er mit Prosecco gemischt war. Habe seit 2 Jahren nichts getrunken und hatte leider schon runter geschluckt. Ich habe mich erst total geärgert, es dann aber einfach abgehakt. Ein Glück ist nichts passiert, ich hatte kurzzeitig große Angst vor dem Suchtgedächtnis.

    Meine Lehre: noch mehr aufpassen, Alkohol lauert überall. Krass, wie arglos die Gesellschaft damit umgeht.