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Langzeittherapie - Warum so lange?

Weil jeder Tag zählt

12 Wochen, 16 Wochen, 27 Wochen. Das klingt erst einmal nach einer sehr langen Zeit. Was soll ich denn so viele Wochen in einer Klinik? Das Leben da Draußen läuft einfach ohne mich weiter? Wie erkläre ich das meinen Freunden, meinen Kollegen und meiner Familie? Und was wollen die denn eigentlich so viele Wochen lang mit mir machen? Eigentlich möchte ich doch nur aufhören mit Konsumieren! Das kann doch nicht so schwer sein?!

 

Leider ist es doch schwerer als gedacht. Das geht nicht einfach so von heute auf morgen. Alles braucht seine Zeit!

 

Die Entscheidung, ein abstinentes Leben führen zu wollen, ist quasi die 'Eintrittskarte' in eine Klinik. Diese Entscheidung ist Voraussetzung. Dir wird nicht beigebracht, wie du nicht mehr zur Flasche greifst oder keine Dogen mehr nimmst. Du solltest es am Ende 'einfach' nicht mehr tun und immer wieder diese Entscheidung für dich persönlich treffen können. Das ist die große Herausforderung!

Die Therapie

Wie in meinem Blogartikel 'Entgiftung' schon beschrieben, hat jede Klinik ihr eigenes Konzept und ihr eigenes Therapieverfahren. Manche Kliniken handhaben den Therapieverlauf etwas lockerer, mit viel Spielraum und Entscheidungsfreiheit. Andere Kliniken gehen hingegen strikter vor.

Ich persönlich hatte die Wahl zwischen 3 Kliniken und habe mich für die Soteria Klinik in Leipzig entschieden. Die ist streng, das wurde mir vorab schon gesagt. Aber diese Herausforderung wollte ich annehmen. Es ging ja schließlich um mich und mein Leben.

Mit der Bewilligung von 16 Wochen habe ich angefangen und auf 27 Wochen verlängert. Leider wird ein Unterschied zwischen rein alkoholabhängigen und mehrfachabhängigen bzw. drogenabhängigen Patienten gemacht. Dies liegt an der Kostenübernahme der Krankenkasse bzw. Rentenversicherung.

"Die Therapie war alles andere als ein Spaziergang."

Und auch alles andere als eine Erholungskur.

 

Es gibt zahlreiche Regeln, an die sich der Patient halten muss. Sei es Essenszeiten, Raucherzeiten, Therapiezeiten, Schlafenszeiten. Der gesamte Tagesablauf ist durchstrukturiert. Falls du gegen Regeln verstößt, bekommst du gelbe Karten und darfst dich damit auseinandersetzen, warum du dies getan hast und was das mit deiner Sucht zu tun hat. Das klingt für viele erst einmal albern und unnötig, ist meines Erachtens aber sehr wertvoll, da jeder Suchterkrankte Grenzen in seinem bisherigen Leben überschritten hat. Es geht darum, wieder Verantwortung für sich selbst und sein Leben zu übernehmen und gesunde und vernünftige Entscheidungen zu treffen.

Nach ein paar Tagen im Aufnahmebereich kam ich in den Rehabereich der Klinik. Jeder Patient wird einer Gruppe zugeteilt. Mit dieser Gruppe verbrachte ich fast 24 Stunden meines Tages und das wochenlang. Das ist herausfordernd, chaotisch und anstrengend!

Zunächst einmal durfte ich die Klinik nur in Begleitung meiner Gruppe verlassen und das auch nur unter bestimmten Voraussetzungen. Dies ändert sich jedoch im Laufe der Zeit.

Was wird verlangt?

Ich habe jeden Tag Tagebuch geschrieben, mich mit unzähligen Fragen zu verschiedensten Lebensbereichen auseinandergesetzt. Ich musste einen Suchtbericht halten, indem ich mein Leben in Bezug auf die Sucht reflektierte. Ich bekam unzählige Fragen gestellt und musste diese in der Gruppe beantworten. Wie bin ich aufgewachsen? Wann habe ich zum ersten Mal konsumiert? Was hat mir in meinem Leben eventuell gefehlt? Warum bin ich Abhängig geworden?

 

Es wird nicht nur angekratzt, es wird richtig tief gebohrt. Und das tut weh!

 

Ich musste erkennen, dass ich mich selbst nicht nur als Opfer meiner Umstände sehen kann, denn das würde mich kein Stück weiter bringen. Ich musste erkennen, dass ich auch Täter bin. Ich musste mich umdrehen und meinen Schatten betrachten. Den Teil, den man nicht so gerne anschaut, den man lieber im Verborgenen hält, weil er unschön ist, nicht sehenswert. Aber wie hieß es so schön:

"Da wo es weh tut, geht es lang!"

Manchmal bin ich auf dem Zahnfleisch gekrochen. Manchmal war ich einfach nur erschöpft.

Nach 6 Wochen habe ich begriffen worum es geht und weswegen ich in der Klinik bin. Nach 16 Wochen war ich soweit, den dunklen Weg auch zu gehen, ohne vorher zu wissen, wo dieser enden wird. Nach 27 Wochen konnte ich behaupten, dass ich erkannt habe, warum ich den Weg der Sucht gewählt habe. Warum ich keine andere Lösung gefunden habe. Wonach ich eigentlich suche und wo ich es finden kann.

Ich konnte für mich die Entscheidung treffen, dass ich jetzt abbiegen werde und eine neue Strategie wähle. Eine verantwortungsvollere Strategie. Eine, mit der ich mich und mein Leben wertschätze.

Ich konnte wieder anfangen zu träumen und mein Leben in die Hand nehmen. Nach 27 Wochen.

Gehirnwäsche?

Jein! Du entscheidest wann und wie gewaschen wird. Du alleine entscheidest welcher Waschgang, welche Schleuderzahl, wie lange und wie heiß! Und eins kann ich dir sagen, so sauber war mein Hirn schon lange nicht mehr!

So einen Spiegel bekommt man im Leben nur sehr selten vorgesetzt. Da ist man tatsächlich erst einmal erschrocken, was man zu Gesicht bekommt und würde am liebsten davonlaufen. Aber der Blick lohnt sich.  Und das immer!

 

Du hast Fragen? Dann schau gerne bei unserer rauschlos.Glücklich Community vorbei!

photo credtis: Andres Jasso, Elizabeth Lies // unsplash

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Kommentare: 1
  • #1

    geht euch nichts an (Donnerstag, 16 Juli 2020 14:24)

    "Nach 27 Wochen konnte ich behaupten, dass ich erkannt habe, warum ich den Weg der Sucht gewählt habe"

    Sucht ist eine Krankheit, die sich schleichend fortentwickelt. Du kannst vielleicht behaupten, daß du diese Entwicklung ignoriert hast (warum auch immer) aber bewußt gewählt hast du sie nie. Du bist nicht irgendwann aufgewacht gesund und klar im Verstand aufgewacht und hast dir gesagt - Jetzt werde ich ein Suchti, der sich gezielt zu Grunde richten will.

    Was Du in deinem Artikel tust, hilft absolut keinem Suchtkranken. Du sagst - es war deine Schuld und es ist nur eine Frage der Disziplin da wieder raus zu kommen. Sorry - das Thema ist dann doch um Einiges komplexer. Ja - ich entscheide wie ich mit Suchtdruck umgehe aber für die meisten Erkrankten ist der Druck einfach zu hoch um noch rational zu handeln und genau deshalb ist es eine anerkannte Krankheit und nicht nur eine Laune! Meine Umwelt nimmt eben NULL Rücksicht darauf welchen Druck von Außen ich verkrafte und handeln kann. Ich muß nicht nur mit meiner Sucht klar kommen sondern auch mit einer Umwelt die sich einen feuchten Dreck dafür interessiert was mich triggert und das Suchtgedächtnis anspricht und aktiviert!
    Ich nenne es "gesund leben in einer kranken Welt".